Erinnerungskultur

Erinnerungs(un)kultur in Gießen

In einer Mitgliederversammlung beschäftigte sich die DKP Gießen mit den derzeitigen Diskussionen um eine Ehrung für Ria Deeg. Gernot Linhart gab einen Überblick zum Thema „Erinnerungskultur in Gießen“.

In der Stadt gibt es mehrere Stellen, die an Militarismus und Nazizeit erinnern. An der Mauer der ehemaligen Bergkaserne befindet sich ein aufwendig restauriertes Relief, das die Blut- und Boden-Ideologie des 3. Reiches verherrlicht – eine kleine Informationstafel kann das nur wenig relativieren. An der Licher Gabel steht ein unsägliches Denkmal, mit dem an das  Bombergeschwader „Greif“ erinnert wird. Der darüber schwebende Raubvogel wurde zum Glück von beherzten Gießenern vom Sockel geholt. Eine nachträglich aufgestellte trauernde Fliegerwitwe macht das Ganze nicht besser – der Bombenopfer wird nicht gedacht.

Am Neuen Schloss und in Klein Linden stehen Denkmäler, die nur der Soldaten, nicht aber deren Opfer gewidmet sind. Der „Held“ am Neuen Schloss soll angeblich demnächst sogar restauriert werden anstatt ihn langsam verwittern zu lassen.

Straßen sind nach Militaristen und Reaktionären wie Bismarck, Roon und Moltke benannt, in der Umgebung der Universität gibt es einige Straßen, die immer noch die Namen von Professoren tragen, die Mitglieder der NSDAP und anderer NS-Organisationen waren, z.B. Robert Feulgen und Georg Haas. Nach Nazis benannte Einrichtungen wie Otto-Eger-Heim und Friedrich-Feld-Schule wurden erst nach langen Protesten umbenannt, die völlig geschichtslosen Grünen und die SPD wurden von sich aus nie aktiv. Wissenschaftler wie Röntgen und Liebig werden natürlich geehrt, damit kann sich die Stadt schmücken.

Für einige fortschrittliche Menschen gibt es Bronzebüsten im Theaterpark, in der Plockstraße, am Alten und am Neuen Schloss. Für Nazi-Opfer gibt es Stolpersteine, aber fast nur für rassisch Verfolgte. Einen Stein für den kommunistischen Widerstandskämpfer Hans Rosenbaum mussten Erika und Michael Beltz erkämpfen.

Was man vergeblich sucht ist eine Erinnerung an aktiven Widerstand gegen den Faschismus, den es durchaus gab. In der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Osthofen wird an einige Häftlinge aus Gießen und Umgebung erinnert – hier sind deren Namen vergessen. Lebende Zeugen für diesen Widerstand waren Ria und Walter Deeg. Es stände der Stadt gut an, das Ensemble der drei bürgerlichen Nazi-Verfolgten (Agnes von Zahn-Harnack, Margarete Bieber, emigriert 1933 und Hedwig Burgheim, in Ausschwitz ermordet 1943) in der Plockstraße durch Ria Deeg, eine aktive Widerstandskämpferin aus der Arbeiterklasse, zu ergänzen.

 

Siehe auch “Ria Deeg – Ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis der Stadt Gießen, eine biographische Erzählung” von Ulrike Krautheim unter Mitarbeit von Heinrich Brinkmann, Christine Schmidt und Hans Walter Schmidt