Der Kampf gegen Berufsverbote 1972 bis heute

Kampf gegen Berufsverbote 1972 bis 1990 und heute

Freiheit im Beruf - Demokratie im Betrieb
Plakat der Berufsverbotekomitees

Die Geschichte der Berufsverbote, des so genannten Radikalenerlasses, in den 70er und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, ist die Geschichte von offenem Verfassungsbruch und persönlichen Verfolgungen durch die herrschende Klasse in Politik und Wirtschaft, um politischen Widerstand mundtot zu machen. Die staatliche Verfolgung verstößt  gegen Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, sowie gegen die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Berufsfreiheit.

Sie ist aber besonders die Geschichte zahlreicher Proteste und Aktionen, Veranstaltungen und zahlreicher Bündnisse im In- und Ausland. Sie ist die Geschichte von vielfältigen Erfolgen, die durch gemeinsame Aktionen erkämpft wurden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung rechnete aus, dass von 1972 bis 1991 3,5 Millionen Menschen vom Verfassungsschutz bespitzelt und verfolgt wurden. Allein 1270 Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden abgelehnt. 260 verloren ihren Arbeitsplatz. (Gießener Allgemeine Zeitung, 29.1.2022, „Berufsverbote ohne Ende“).

Betroffen waren besonders Mitglieder von DKP und MSB Spartakus, Antifaschisten der VVN, SPD, Sozialistischer Hochschulbund, Friedensintiativen, „Bund demokratischer Wissenschaftler“, Parteilose. Alle, die dem Bonner Mainstream die Stirne boten, wurden in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Einschüchterung und Duckmäusertum war das Ziel der Regierenden und Herrschenden. Berufsverbote, „le berufsverbot“ oder „the berufsverbot“ bedrohte die Freiheit von Forschung und Lehre. Dagegen gab es erfolgreichen Widerstand im In- und Ausland.

Bei den „Anhörungen“ genannten Verhören in den Behörden wurde nach denuziatorischen Gesinnungsschnüffeleien des Verfassungsschutzes gefragt. „Sind sie Mitglied der DKP (des MSB Spartakus, …)?“, „Was halten sie von Lenins These…?“ – aber auch skurrile „Erkenntnisse“ wie „Warum hat ihnen die DKP zur Hochzeit gratuliert?“.
Der „Verfassungsschutz“, in dessen Führungsebene Faschisten und ehemalige Nazi-Funktionäre wirkten, verfolgte alles, was sie für „links“ hielten.

Bundeskongress - Weg mit den Berufsverboten
Bundeskongress – Weg mit den Berufsverboten

Eine bedeutende Kraft im Kampf gegen den Abbau demokratischer Rechte waren die Komitees gegen Berufsverbote. In ihnen waren Personen und Organisationen mit unterschiedlichen politischen Meinungen und Weltanschauungen vertreten. Sie vereinte der Kampf gegen den von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) (Vor den Wahlen: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“) und den Ministerpräsidenten am 28. Januar 1972 erlassenen „Radikalenerlass“, der alle fortschrittlichen Kräfte in der Bundesrepublik mit Berufsverbot bedrohte und politisch disziplinieren sollte.

Eine zweite Kraft der Gegenwehr bildeten nach anfänglichem Zögern die Gewerkschaften. Im Laufe der Jahre unterstützten sie vorbehaltlos materiell und politisch ihre Mitglieder gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates.

Berufsverbote in Gießen

1983 - DGB Gießen - Solidaritätsveranstaltung mit Gießener Berufsverbote-Betroffenen
1983 – DGB Gießen – Solidaritätsveranstaltung mit Gießener Berufsverbote-Betroffenen

In Gießen kamen die meisten in ihrer Existenz Bedrohten aus der Universität, dem Schuldienst und dem Post- und Fernmeldedienst. Bis 1975 zählte die GEW Gießen alleine schon 62 Berufsverbotsmaßnahmen im öffentlichen Dienst.

Manfred Grabe, Stadtverordneter der SPD und Vater der späteren Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz, traf es als einen der Ersten. Er wurde bei seiner Bewerbung an der Hamburger Universität wegen „Bedenken“ abgelehnt (siehe Gießener Echo, 1972/09).

Michael Beltz, Gießener Vorsitzender der DKP, wurde von der hessischen CDU denunziert.(.pdf) Der „Fall Roth“ des CDU-Landtagsabgeordneten empörte lange Zeit die Öffentlichkeit und führte zu einer großen Solidaritätswelle mit dem Lehrer in Biebertal (siehe Gießener Echo März 1973).

Axel Brück und Egon Momberger wurden von CDU-Bundespostminister Schwarz-Schilling (CDU) und dessen Nachfolgern unerbittlich bis zu den Bundesgerichten verfolgt und schließlich aus dem

Berufsverbote in Gießen 1972 - Gießener Echo 1972/09
Berufsverbote in Gießen 1972 – Manfred Grabe (SPD),   Gießener Echo 1972/09

Beamtenverhältnis „entlassen“.

Der Sprachwissenschaftler Dr. Meyer-Ingwersen wurde trotz positiver Bewertungen von vier Hochschulen auch an der Gießener Universität nach einem denunziatorischen Artikel im Gießener Anzeiger, als Bewerber für eine Professur, von drei sozialdemokratischen Kultusministern abgelehnt. Das sind nur fünf Beispiele von Verhören, Disziplinarmaßnahmen, Entlassungen, Ausbildungsverboten im Gießener Bereich.

Das „Gießener Komitee gegen Berufsverbote“ gründete sich unter dem Vorsitz des Schuldirektors Heinz Nagel. Solidaritätsveranstaltungen mit den Liedermachern Hannes Wader, Dieter Süverkrüp, Franz-Josef Degenhardt, Ekkes Frank und den Bots („Das Weiche Wasser bricht den Stein“), den „Zupfgeigenhansl“ und der Gießener Songgruppe. Diskussionsveranstaltungen, Dokumentationen, Unterstützung bei Gerichtsprozessen brachten das Thema „Berufsverbote“ immer wieder in die Öffentlichkeit und drängten die Berufsverbieter in die Defensive. Im Ausland (Frankreich, Niederlande, England, Dänemark, Schweden) gründeten sich Komitees. „Le berufsverbot“ war ein bekannter Begriff. Das Gießener Komitee hatte besonders enge Kontakte zum Komitee in Gießens Partnerstadt Kerkrade der Niederlande.

Erst Mitte der 1980er Jahre wurde unter dem öffentlichen Druck die Politik der Berufsverbote in der BRD teilweise zurück genommen. Willy Brandt (SPD), schon nicht mehr Bundeskanzler, erklärte den Radikalenerlass zum „politischen Fehler”. Die Berufsverbote stehen im direkten Widerspruch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und den Kernnormen des internationalen Arbeitsrechts, wie die ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UNO) 1987 bereits festgestellt hat. Die

Axel Brück, Egon Momberger, Mario Berger auf der Treppe des Kerkrader Rathauses (Partnerstadt Gießens)

bundesrepublikanische Regierung hatte dieses „Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf“ bereits 1961 unterzeichnet. Es gehörte damit zum Grundgesetz. 1995 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Musterprozess gegen die BRD die Berufsverbote-Politik als Verstoß gegen Recht und Menschenrechte.

Seitdem haben sich die Instrumente der Berufsverbieter verfeinert. Begründungen für Berufsverbote werden seltener offen politisch begründet.

Aber der Knüppel ist nur im Sack. Er ist nicht weg. Und damit das auch jeder weiß, wird er immer wieder herausgeholt. Eine “Renaissance” erlebten die Berufsverbote in den 1990er Jahren, als es galt, diejenigen aus Beruf und gesellschaftlichem Leben herauszudrängen, die sich in der DDR für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft engagiert hatten. Der Staatsapparat baut vor, weil er weiß, dass die Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft zunehmen, und damit für ihn auch die Gefahr besteht, dass Bewegungen stärker werden, die seine objektive Rolle als Garant der Interessen des deutschen Monopolkapitals erkennen. Die Instrumente werden geschärft, um dies repressiv zu verhindern. Dem muss entgegengetreten werden.

Die Verteidigung der demokratischen Grundrechte ist heute, mehr denn je, von entscheidender Bedeutung angesichts des reaktionären Staatsumbaus. Das ist ein Auftrag für alle Demokraten, der sich aus dem Jahrzehnte langen Kampf gegen die Berufsverbote ergibt.

Betroffene fordern:
„Wir als damalige Betroffene des „Radikalenerlasses“ fordern von den Verantwortlichen in Verwaltung und Justiz, in Bund und Ländern unsere vollständige Rehabilitierung. Die Bespitzelung kritischer politischer Opposition muss ein Ende haben. Wir fordern die Herausgabe und Vernichtung der „Verfassungsschutz“-Akten, wir verlangen die Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung der Betroffenen.“
(Hier geht es zur ERKLÄRUNG von 2012 „40 Jahre Berufsverbot – Betroffene fordern: endlich Aufarbeitung und Rehabilitierung!)
(siehe: https://berufsverbote.de/index.php/erklaerung.html)

Die DKP fordert zusätzlich die Auflösung aller Ämter des Verfassungsschutzes.

Mario Berger

1984-Giessener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Gefahr-fuer-Demokratie
1984-Giessener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Gefahr-für-Demokratie – Dokumentation (.pdf)

 

1984-Giessener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Frieden-Abruestung-Demokratie
1984-Giessener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Frieden-Abrüstung-Demokratie-Dokumentation (.pdf)
1983-Giessener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Axel-Brueck-Egon-Momberger
1983-Gießener-Komitee-gegen-Berufsverbote-Axel-Brueck-Egon-Momberger
1985-Komitee-gegen-Berufsverbote-Giessen-Dokumentation (.pdf)
1985 Dokumentation – Gießener Berufsverbote-Komitees zu Axel Brück und Egon Momberger
1973-03 - Gießener Echo extra - Berufsverbotsversuch gegen Michael Beltz
1973-03 – Gießener Echo extra – Berufsverbotsversuch gegen Michael Beltz – Der Fall Roth (.pdf)

Die umfangreichste Seite zu Berufsverboten

GEW-Berufsverbote in Hessen

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu den Berufsverboten bei Post und Bahn

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen zu den Berufsverboten

 

links: Heinz Nagel - Vorsitzender des Gießener Komitees gegen Berufsverbote
links: Heinz Nagel – Vorsitzender des Gießener Komitees gegen Berufsverbote
Demonstration gegen Berufsverbote in den Niederlanden
Demonstration gegen Berufsverbote in den Niederlanden